Zusammenfassung des #JOE Online-Panels vom 25. März 2023

Es diskutierten mit: Simone Fleischmann, Präsidentin des BLLV, Liselotte Israelson, Coordination Europe Schweden, Prof. Johannes Lindner, Kirchlich Pädagogische Hochschule Wien/Krems und IFTE – Initiative Entrepreneurship4Youth, Michaela Kaltner, stellv. Schulleiterin, Susanna Klein, Dozentin an der TUM, Dr. Karin Oechslein, Direktorin des ISB a.D., Deutscher Schulpreis, Wertebündnis Bayern, St.R. Dr. Marco Rehm, Wirtschaftsdidaktik Universität Siegen.

Entrepreneurship Education wird in Deutschland nicht einheitlich verstanden und polarisiert. Zu Unrecht wird unterstellt, dass es hierbei um eine Heranbildung zu Wirtschaftsführern oder gar Kapitalisten geht. Viele Lehrkräfte vermuten dahinter eine Ideologie, die keinesfalls in den Unterricht getragen werden darf. Das dürfte ein wichtiger Grund sein, warum in Deutschland – anders als zum Beispiel in unserem Nachbarland Österreich – das Bildungsprogramm Entrepreneurship Education bis heute nicht wirklich Fuß fassen konnte, und dass, obwohl es verspricht gute Lösungen für die Schule der Zukunft zu bieten.

Der Begriff „entrepreneur“ kommt aus dem Französischen, wo er abgeleitet wird vom Verb „entreprendre qc“, was übersetzt bedeutet, „etwas unternehmen“. „Etwas unternehmen“ meint nicht „wirtschaftlich etwas unternehmen“, sondern ganz allgemein „eine Sache in Angriff nehmen“, „etwas tun“, „sich für etwas einsetzen“. Entrepreneurship Education ist damit die „Erziehung zum Tun, zum Handeln“ und gleichzeitig dazu, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.

Ein sehr wichtiger Gesichtspunkt für Simone Fleischmann war gleich zu Beginn der Diskussionsrunde, dass Schule die jungen Menschen auf die Zukunft vorbereiten und sie mit den Fähigkeiten ausstatten muss, die ihnen helfen werden, beruflich und privat ein gutes Leben zu führen. Einig war man sich in der Gesprächsrunde, dass diese sogenannten Zukunfts-Fähigkeiten andere sind als jene, die in der Vergangenheit eine Rolle spielten. Marco Rehm hat insbesondere hervorgehoben, wie wichtig es sei, „sich immer wieder neu orientieren zu können“ in einem sich ständig verändernden Umfeld mit immer neuen Wissensbeständen. Eine wichtige Voraussetzung ist dabei, so führt Marco Rehm weiter aus, Selbstwirksamkeitserfahrungen gemacht zu haben, um die Bereitschaft entwickeln zu können, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. „Das ist eine grundlegende sozialpsychologische Disposition.“ Karin Oechslein bestätigt, dass sich dies auch während des Lockdowns bestätigt habe, dass Schüler und Schülerinnen mitgeholfen haben, die Digitalisierung zusammen mit den Lehrkräften voranzutreiben. Dieses Miteinander war sehr wertschätzend und für alle befriedigend. Solche Konzepte brauche man für die Zukunft.

Junge Menschen wachsen heute in Milieus auf, die ganz andere sind als die der älteren Generation. Die Gefahren sind vielfältiger und Kinder sind beschützter, auf der einen Seite. Auf der anderen gibt es immer mehr Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund und Fluchterfahrungen. Diese Kinder müssen integriert werden. Ihnen muss die Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht werden. Gelingt dies nicht, „brennt es in der Gesellschaft!“, so die Aussage von Simone Fleischmann.

In den Schulen wachsen die Herausforderungen, und die Anforderungen, die von allen Seiten an Lehrer und Lehrerinnen gestellt werden, steigen. Gleichzeitig müssen Lehrkräftemangel, Digitalisierung, Pandemie und jetzt die Künstliche Intelligenz bewältigt werden. Das funktioniert nicht durch das 17. neue Fach, wie Frau Fleischmann betont, sondern nur durch ein ganz grundsätzliches Neudenken des ganzen Systems Schule. „Wir müssen, und das wollen auch die Kolleginnen und Kollegen, nach vorne denken und sagen, ja, es gibt viele neue Kompetenzen, ja, es gibt großartige Programme. Auch wir waren im Makerspace in Garching, auch wir haben im BLLV Design-Thinking-Prozesse gemacht. Ja, wir schauen uns das alles an. Und jetzt müssen wir aber irgendwie gucken, wo wir die Kernschwerpunkte setzen!“

Bayern und offenbar auch Baden-Württemberg suchen in diesem Zusammenhang das intensive Gespräch mit den Bildungsverantwortlichen im Nachbarland Österreich. Hier wurde im Verlauf der letzten Jahre an verschiedenen Stellschrauben gedreht, um das Bildungssystem zukunftsfähig zu gestalten. Die Erfahrungen zeigen, erläutert Johannes Lindner, dass dies auf vielen Experimenten beruht und auch Fehlschläge beinhaltet. Wichtig ist die begleitende Wirkungsforschung, um rechtzeitig zu erkennen, welcher Baustein auch im Kleinen, z.B. an der eigenen Schule funktioniert oder eben nicht. Erfahrungsaustausch und Kooperationen lassen Ideen entstehen, ausprobieren muss man immer selbst, so die Erfahrungen in Österreich. Und so ist in vielen Jahren ein innovatives Bildungskonzept, ein Bildungs-Ökosystem mit dem Namen „Entrepreneurship Education“ entstanden. Es ist ein Ansatz, der Schule öffnet und den jungen Menschen ermöglicht in den Austausch zu gehen, mit Expert:innen zu sprechen, sich mit anderen Jugendlichen zu vernetzen, und Selbstwirksamkeitserfahrungen zu machen. Selbstwirksamkeitserfahrungen betont Marco Rehm sind entscheidend. Sie sind die wichtige Voraussetzung dafür, Mut zu entwickeln, Verantwortung zu übernehmen und ins Handeln zu kommen. Wissen ist „nur“ die Grundlage für das Handeln. Aber auch das Handeln muss gelernt werden.

Entrepreneurship Education in Österreich war eine Bottom-up-Bewegung von Lehrern und Lehrerinnen. Lehrkräfte waren es, die die Notwendigkeit erkannt und die Schulentwicklung vorangetrieben haben. Die Schulpolitik hat nachgearbeitet und die Rahmenbedingungen für weitere Entwicklungen verbessert.

Auch in Deutschland ist hier schon einiges geschehen. So gibt es mittlerweile sogenannte Kernlehrpläne und keine fest geschriebenen Curricula mehr. Theoretisch könnte jede Schule jedes Jahr neu ihre eigenen Curricula aufstellen und wieder verändern, betont Marco Rehm. Es gibt Schulen, die dies auch nutzen und an neuen Zukunftskonzepten arbeiten.

Ein Beispiel ist die Pauline-Thoma-Mittelschule in Kolbermoor. Hier ist es den beiden Lehrerinnen Michaela Kaltner und Susanna Klein in mehrjähriger Arbeit und mit Unterstützung der Schulleitung und des Kollegiums gelungen fächerübergreifend und zur Schnittstelle Berufsorientierung das Curriculum zu Social Entrepreneurship Education dergestalt zu implementieren, dass es nicht als Projekt on-top, sondern in den Unterricht der 7. – 9. Klassen integriert war. Es lag den beiden Kolleginnen sehr am Herzen, dass alle Kinder teilhaben konnten. Anlass für diesen Beginn einer weitreichenden Schulentwicklung war der Wunsch der Schulleitung eine Schülerfirma zu etablieren. Motivation für die Lehrkräfte war es, den Schülerinnen und Schülern Selbstvertrauen und Lebensmut und damit persönliche Entwicklungsmöglichkeiten zu geben. Förderlich war die Einführung des projektierten Unterrichts an den bayrischen Schulen. Die Schüler und Schülerinnen lernen eine eigene Idee umzusetzen, entweder im Rahmen einer eigenen Geschäftsidee oder als Problemlösung für ein wahrgenommenes Defizit. Geschäftsmodelle und Lösungsideen werden auf dem „Businesstag“, der einmal im Jahr festlich veranstaltet wird, präsentiert und von Juroren aus der Wirtschaft bewertet. Der Businesstag hat sich mittlerweile zu einer Art „Speeddating-Plattform“ entwickelt. Schüler und Schülerinnen präsentieren sich in ihren „Schulzuhause“ den Betrieben der Umgebung. Personalverantwortliche und Ausbilder schätzen die natürliche Form des Kennenlernens in der geschützten und vertrauten Schulumgebung. Auf diese Art und Weise haben junge Menschen Ausbildungsverträge abschließen können, die sie vielleicht auf den üblichen Wegen nie bekommen hätten.

Von ähnlichen Erfahrungen berichtet auch die Gesprächsteilnehmerin aus Schweden. Liselotte Israelson arbeitet in Smâland, einer eher einsamen Gegend mit nur wenigen Firmen, die sich als Arbeitgeber anbieten. Wollen junge Menschen in ihrer Heimat bleiben, dann müssen sie lernen, sich selbst etwas zu ihrer Existenzsicherung einfallen zu lassen. Die Methoden der Entrepreneurship Education helfen ihr dabei, Kinder und Jugendliche zu stärken und in ihrer Entwicklung zu selbstständigen und verantwortungsbewussten Erwachsenen zu unterstützen. Die Erfahrung ist auch hier wieder, dass es wichtig ist, die Schüler und Schülerinnen bei der Ausarbeitung der eigenen Ideen zu begleiten und vor allem dabei zu unterstützen ins Handeln zu kommen. Vorbilder aus Wirtschaft, Medien und Politik unterstützen dieses Anliegen. Schüler und Schülerinnen fühlen sich wertgeschätzt, wenn erfolgreiche und hochrangige Personen an ihre Schule kommen und mit ihnen sprechen und ihre Erfahrungen mit ihnen teilen.

Diese positiven Erfahrungen haben auch zum Engagement im Erasmus+-Projekt LENE 2.0 geführt. Dieses Projekt nimmt sich Jugendlichen an, die sich in schwierigen Lebenssituationen befinden und unterstützt dabei, die nächsten Schritte zugehen. Ein sehr wichtiger Aspekt ist auch hier Partizipation, also zu lernen, wie man an der Gesellschaft, in der man lebt, teilnehmen kann.

Letzteres wird auch in vielen Regionen Deutschlands immer wichtiger. Integration von Menschen, die aus anderen Ländern zuwandern oder fliehen, bedeutet, dass diese Menschen lernen müssen, wie Gesellschaft und Teilhabe in Deutschland funktionieren. Hier sind die Schulen besonders gefordert, denn von ihren Eltern können die Kinder und Jugendlichen hier nicht lernen. Wie im TRIO®-Modell dargestellt, bildet Erziehung zur Teilhabe, also „Entrepreneurial Civic Education“ einen sehr bedeutsamen Aspekt im Konzept der Entrepreneurship Education ab. Eingewanderte Kinder und Jugendliche lernen gemeinsam mit ihren deutschen Mitschülerinnen und wachsen an den Herausforderungen, die das projektbasierte Lernen an sie stellt.

Länger diskutiert wurde, wie man die weitere Verbreitung dieses vielversprechenden und wertschätzenden Bildungsprogramms in Deutschland unterstützen kann. Als sehr erfolgreich haben sich Konzepte wie der Deutsche Schulpreis oder das Berufssiegel des Arbeitskreises Schule-Wirtschaft herausgestellt, betont Karin Oechslein. Es ist die Wertschätzung ihrer Ideen, ihrer Arbeit und ihrer Anstrengung, die Lehrerinnen und Lehrer motiviert sich für Bildungsinnovationen und Neuerungen an ihrer Schule einzusetzen. Und deshalb sind gerade während der Corona-Pandemie viele gute Ideen, vor allem auch um in Kontakt mit Kindern und Eltern zu bleiben, entstanden. Auch wir, die Lehrer und Lehrerinnen, brauchen diese Wertschätzung, und dass man uns sagt, „das ist cool, was ihr da macht“ ergänzt Simone Fleischmann. Für viele Lehrpersonen ist es motivierend die Möglichkeit zu haben, die eigene Kreativität einzusetzen und Gestaltungsspielräume nutzen zu können. Entscheidend jedoch ist die Haltung und Innovationsbereitschaft der Schulleitung. An dieser Stelle werden die Rahmenbedingungen für ein Wachstums-Klima geschaffen, welches Veränderungen wertschätzt und damit fördert oder eben behindert, bestätigt Karin Oechslein.

Förderlich wäre die Einführung von deutlich mehr Projektarbeit und projektiertem Lernen mit Fachleuten von außerhalb der Schule, bestätigt Marco Rehm die Ausführungen von Simone Fleischmann und meint weiter, „dazu müsste man allerdings auch Strukturen aufbrechen“, denn vielfach läge das nicht in der Intension der Schulen.

Demnach muss sich in Deutschland auch die Ausbildung der Lehrer und Lehrerinnen verändern. Hier wird von allen ein wichtiger Ansatzpunkt gesehen. Nur an wenigen Universitäten und hier vor allem in der Berufspädagogik ist Entrepreneurship Education bereits integriert.

Großen Einfluss hat auch das System der Lernerfolgskontrolle. Es hat Auswirkungen darauf, wie unterrichtet wird. Eine Checkliste mit weiteren Elementen, die Schulen für sich und ihre Situation analysieren können, findet sich im UNESCO-Playbook „Transformative Innovation in Education – a playbook for pragmatic visionaries“.

Diese Bildungskonzepte müssen jedoch auch in der Staatsregierung, den Ministerien und in der Öffentlichkeit angekommen sein, unterstreicht Simone Fleischmann. An diesen Stellen muss unterstützt werden. Das ist eine wichtige Kommunikationsaufgabe, die in Deutschland noch geleistet werden muss. „Man kann das schon vermitteln, aber man muss Dampf haben! Viele Lehrerinnen und Lehrer haben das!“ Johannes Lindner bestätigt, dass es seiner Erfahrung entspricht, die strategische Dimension gut einzuplanen und die Stakeholder mitverantwortlich an Bord zu holen. Es geht darum, gemeinsam zu arbeiten mit einer gemeinsamen Vision an einem gemeinsamen Ziel. Karin Oechslein bestätigt ebenfalls und hebt nochmals hervor, wie gut der Austausch mit den Kollegen und Kolleginnen in Österreich funktioniert und dass wir hier in Deutschland viel lernen können, auch über die Auswirkungen von Veränderungen im ganzen System.

Bildungsveränderungen gehen nicht schnell. Und man muss wissen, in welchen Ökosystem man sich befindet. Das Bildungssystem ist die Grundlage der Gesellschaft, in der wir leben.

Prof. Johannes Lindner

Literaturhinweise:
https://www.ifte.at/entrepreneurship
UNESCO-Playbook

Autorin: Gabriela Westebbe

Eine Zusammenfassung findet Ihr auf der Seite des BLLV: https://t1p.de/zw8p4