Ich habe an dieser Stelle immer mal wieder von der 3. Dimension gesprochen, die wir heute in der Berufsorientierung berücksichtigen müssen: Neben der gründlichen Reflexion der eigenen Person und einer ebenfalls gründlichen Analyse des Arbeitsmarktes geht es heute auch darum, sich im Rahmen der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) mit den 17 SDG’s (Sustainable Development Goals) zu beschäftigen. Deutschland hat sich zur Bekämpfung dieser 17 Problemlagen verpflichtet, wovon der Klimawandel nur eine ist.

Kinder und Jugendliche erwartet eine komplett andere Lebens- und Berufswelt

Wir befinden uns in einem tiefgreifenden Wandel, der alle Lebensbereiche betrifft, ganz besonders auch die Arbeitswelt und den Arbeitsmarkt. In der postindustriellen, digitalen Wirtschaftsphase werden andere Kompetenzen gebraucht wie zur Hochzeit der Industrialisierung.
Eine Welt im schnellen Wandel mit täglich neuen Überraschungen und komplexen Problemstellungen fordert Menschen auf ganz andere Weise. Darauf gilt es Kinder und Jugendliche vorzubereiten. Das gilt für den beruflichen wie auch den privaten Bereich. Für die Berufsorientierung bedeutet dies, dass sie komplexer wird und einen deutlich größeren Stellenwert in der Schule einnehmen muss. So wichtig die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit (Unterrichtsfach Geschichte) ist, so wichtig ist auch die Auseinandersetzung mit unserer Zukunft (Unterrichtsfach Zukunft!), und damit, welche Gestaltungsmöglichkeiten wir als einzelnene Person und als Gesellschaft im Ganzen haben und welchem Gestaltungsbereich man sich persönlich widmen möchte.

Eignen sich die Nachhaltigkeitsziele als Einstieg in die Berufsorientierung?

Die Beschäftigung mit den 17 Nachhaltigkeitszielen und den möglichen Wegen dahin, diese zu erreichen, wirkt sinnstiftend und motivierend. Die Bereitschaft, sich mit sich und der persönlichen Lebensaufgabe zu beschäftigen, steigt und damit auch die Motivation für Berufsorientierung, der man im Schulkontext vielleicht auch einen anderen Namen geben müsste. Aus heutiger Sicht plädiere ich sogar dafür, mit den 17 Nachhaltigkeitszielen in die Berufsorientierung einzusteigen.

Was braucht es, um die Welt zu verbessern?

„Mut zum Handeln!“ kommt immer häufiger als Antwort auf diese Frage. Aber auch Ideenreichtum, die Bereitschaft, sich mit kritischen Problemlagen zu beschäftigen, generell die Bereitschaft, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen, Resilienz, eine stabile Gesundheit, wir alle kennen diese Zukunftskompetenzen zur Genüge – nur wie kommen wir dahin, diese zu erwerben und zu trainieren? Wie kommen wir vom Wissen zum Können, Wollen und Tun?

Es liegt auf der Hand, dass der Schlüssel in anderen Unterrichtsmethoden liegt, in Lernarrangements, die diese Zukunftskompetenzen schulen, und dies nicht erst in Sekundarstufe II, sondern beginnend in der Grundschule. Verantwortung für sich und andere zu übernehmen kann man beispielsweise bereits im Grundschulalter lernen. Es gibt Schulen, wo es üblich ist, dass die verantwortliche Lehrkraft am Ende des Unterrichts zusammen mit den Kindern den Klassenraum aufräumt und reinigt.

Es braucht daneben auch andere Prüfungsmethoden (z.B. formatives Assessment) und nicht das unselige Verfahren, welches heute praktiziert wird und dazu führt, dass „Stoff“ ins Arbeitsgedächtnis gestopft, während der Prüfung wieder ausgespukt und anschließend vergessen wird. Es braucht Ruhe, Geduld und Entwicklungszeit in der Schule. Weniger ist mehr! Vor allem braucht es eine solide Basis in den entscheidenden Fächern und es braucht Wahlangebote, um der Vielfalt gerecht zu werden.

Stärkenorientierung und Fehlertoleranz

Unsere Erfahrungen aus der Beratungspraxis sind bitter. Jugendliche wissen immer, was sie nicht können. Da kommt eine ganze Liste. Nur wenige Schüler und Schülerinnen oder auch Studierende kennen ihre Stärken, wissen, wo sie richtig gut sind, was sie weiter lernen wollen und wohin sie sich entwickeln möchten. Meine persönlichen Stärken lerne ich nur im Tun kennen und in einer Lernumgebung, die Fehler zulässt, sie als Lernchance begreift und nicht bestraft. Stärkenorientierung bedeutet, die Besonderheit im einzelnen Menschen zu sehen und nicht, um ein Beispiel zu nennen, einer Grundschülerin mit gutem räumlichem Vorstellungsvermögen, die sich früh im Zahlenraum über 100 bewegen kann, schlechte Noten zu geben, weil sie vergessen hat, die Maßeinheiten dazu zu schreiben. So vertreibt man einem Kind die Freude an der Mathematik und damit den Zugang zu wertvollen Berufsmöglichkeiten, für die das Mädchen ein hohes Potenzial gehabt hätte. Ich schreibe bewusst „gehabt hätte“, denn uns Erwachsenen, Eltern und Erzieher*innen ist meist nicht bewusst, wie schnell sich aus unbedachten Worten einem Kind gegenüber, verhindernde Glaubensätze entwickeln. Hierzu möchte ich auf den Blogbeitrag zum Video mit Heidemarie Brosche hinweisen.

Die „inneren Entwicklungsziele“ – Transformative Fähigkeiten und Kompetenzen für eine nachhaltige Entwicklung und Zukunft

Eine gute Zusammenstellung der wesentlichen Zukunftskompetenzen habe ich bei Ralf Nacke (Bildung für Nachhaltige Entwicklung, Gemeinwohlökonomie) in einem seiner Webinare gefunden. Er unterteilt in 5 Bereiche:

  1. Sein – Beziehung zu sich selbst
    • innerer Kompass
    • Integrität und Authentizität
    • Offenheit und Lernbereitschaft
    • Bewusstsein über sich selbst
  2. Denken – Kognitive Fähigkeiten
    • kritisches Denken
    • Komplexität verstehen
    • Perspektiven / Szenarien entwickeln
    • Sinn finden
    • Vision / Langzeit-Orientierung
  3. Beziehung – Verantwortung für andere und die Welt
    • Verbundenheit
    • Empathie
    • Wertschätzung
    • Demut
  4. Zusammenarbeit – Social Skills
    • Kommunikation (GFK=Gewaltfreie Kommunikation)Co-Kreation verstehen und anwenden
    • Vertrauen setzen
    • Vernetzung anstreben
    • Vielfalt schätzen
  5. Tun – Wandel umsetzen
    • Mut
    • Kreativität
    • Optimismus / Zuversicht
    • Akzeptanz

Diese Liste lässt sich sicher ergänzen, die gewählten Begriffe zeigen m.E. jedoch, worum es geht und welche Fähigkeiten junge Menschen heute entwickeln müssen, zusammen an einem Ort, an dem sich alle Gesellschaftsschichten treffen: In der Schule.

Quelle:
https://www.youtube.com/watch?v=t2k25HZsAyQ

Querverlinkung zu uns im Text.:
https://jugend-online-event.de/wie-aus-meinen-schwaechen-staerken-werden/
https://www.youtube.com/watch?v=gTOHlAYvdEI