Es gibt 2 große Bereiche, die man betrachten muss

Es gibt bei der Berufswahl 2 große Bereiche, die man sich anschauen muss:

  1. Den Arbeitsmarkt mit den Berufsmöglichkeiten und Prognosen, wie sich der Arbeitsmarkt und die Berufe entwickeln werden. Das ist die Seite des Einkommens und der finanziellen Absicherung.
  2. Die eigene Person, die persönlichen Begabungen, Neigungen, Vorlieben, die eigene Interessenslage. Das ist die Seite, die Erfolg, Freude und persönliche Erfüllung bedeutet.

Die kritische Betrachtung des Arbeitsmarktes und der verschiedenen Berufsfelder ist heute vor allem mit Blick auf die zukünftigen Entwicklungen wichtig. Die Digitalisierung und Globalisierung bestimmter Arbeitsbereiche verändern Berufe sowie die Aussichten und Entwicklungsmöglichkeiten in diesen Berufsfeldern. Siehe dazu auch unseren Veranstaltungstipp im aktuellen Newsletter.

Beginnen sollte man jedoch bei sich selbst und dem, was die eigene Person ausmacht. Die Reise zu sich selbst ist deshalb das Thema dieses Beitrags.

Was steckt in mir?

Bild von: https://unsplash.com/@brettgarwood

Die Reise zu sich selbst fällt den meisten jungen (und auch älteren) Personen nicht leicht. Und sie ist auch nicht leicht, denn der Blick auf sich selbst ist uns oft verstellt. Viele persönliche Eigenschaften fallen einem bei sich selbst als Besonderheit nicht auf, weil man das eigne Verhalten gut kennt und nicht merkt, dass man eine spezielle Begabung hat, die anderen nicht gegeben ist. Man denkt unbewusst, so wie ich bin, so sind andere auch, und die Anderen verfügen sogar noch über dieses und jenes Talent, was ich gar nicht habe. Der Blick auf sich selbst ist oft eher negativ und defizitorientiert.

Deshalb ist es sehr wichtig, andere Personen auf der Suche nach sich selbst mit einzubeziehen. Das sind Eltern, auch die Eltern von Freunden, enge Verwandte, Freunde und Freundinnen, das sind natürlich auch Lehrer und Lehrerinnen, die einen anderen Blick auf uns haben, das sind Vorgesetzte und Kolleg:innen in Jobs und Praktika. In der Berufsberatung stehen hier Fragebögen für die Selbst- und Fremdeinschätzung zur Verfügung. Einen solchen Fragebogen findet ihr z.B. im ProfilPASS zum Durchstarten auf den Seiten 45ff. 

Hier ist der Link zum kostenlosen Download: https://core.profilpass-international.eu/files/profilpass_zum_durchstarten.pdf

Ihr könnt euch den ganzen ProfilPASS zum Durchstarten dort kostenlos herunterladen oder nur die Seite 45 und die folgenden Seiten für die Fremdeinschätzung. Füllt den Fragebogen selbst aus und gebt ihn auch euren Eltern und Freund:innen. Lasst euch überraschen, welche besonderen Fähigkeiten andere Menschen bei euch sehen.

Was fällt mir leicht, was fällt mir schwer?

Die Frage könnte auch lauten, „Was mag ich und was mag ich nicht?“ und ist so gestellt fast leichter zu beantworten. Wir kennen alle aus unserer unmittelbaren Erfahrung, dass z.B. nicht alle Menschen den gleichen Bewegungsdrang haben. Manche können als Kinder buchstäblich nicht stillsitzen, während andere damit gar keine Mühe haben und sich gerne ruhig mit etwas beschäftigen, malen, lesen, basteln oder am Computer spielen. Kinder mit einem hohem Bewegungsdrang werden später vermutlich keine Programmierer:innen werden, auch wenn sie sich sehr stark für die Thematik interessieren. Eine Lösung könnte sein, dass sie sehr für Ausgleichsport sorgen müssen oder in den Vertrieb oder die Kundenberatung im IT-Bereich gehen.

Ein weiteres Beispiel: Wie verhalte ich mich in einer Gruppe? Welche Rolle nehme ich ein? Bin ich der Clown, der alle zum Lachen bringt und für gute Stimmung und Zusammenhalt sorgt oder bin ich eher ruhig in der Gruppe und bringe mich nur dann ein, wenn ich etwas Wichtiges zu sagen habe und werde wegen meiner Ernsthaftigkeit und Gründlichkeit geschätzt?

Oder, noch ein Beispiel: Habe ich Erfahrung im Umgang mit Tieren, Hunden oder Pferden? Und wie gehorchen mir die Tiere? Verfüge ich über so etwas wie eine natürliche Autorität? Dann habe ich vermutlich gute Voraussetzungen für eine Führungsposition und eigne mich vielleicht auch für den Beruf der Lehrer:in.

Blick in die Vergangenheit

In manchen Büchern steht, dass die Zeit zwischen dem 5. und 7. Lebensjahr wichtig sei, um herauszufinden, mit was man sich am liebsten beschäftigt. Ich bin nicht so überzeugt davon, dass man es auf diese kurze Lebensspanne beschränken sollte, aber der Blick in die Vergangenheit lohnt sich auf jeden Fall.

Kinder bevorzugen unterschiedliche Spielzeuge und spielen unterschiedlich mit den Spielzeugen. Hier sind Eltern und Betreuer:innen als Beobachter:innen gefragt und gefordert. Es gibt Kinder, die gerne mit Bauklötzen fantasievolle Gebilde herstellen. Das ist ein Hinweis auf ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen, das in vielen verschiedenen Berufsfeldern vorausgesetzt wird, z.B. in der Architektur, in Ingenieurberufen aber auch im Finanzwesen.

Ich habe z.B. schon als Kind sehr gerne gestrickt und gehäkelt, eigene Muster entworfen und unendlich viele Modezeichnungen angefertigt, auch im Schulunterricht. Damals hatte niemand einen Blick darauf und mein Berufswunsch Schneiderin zu werden, passte nicht in die Vorstellungswelt meiner Eltern. Stricken und mit Farben arbeiten ist mein Hobby geblieben. Heute würde man mit einer derart auffälligen Interessenslage voraussichtlich anders umgehen und versuchen herauszufinden, welche beruflichen Möglichkeiten sich darauf aufbauen lassen. Man würde dem Tun nachspüren, und versuchen herauszufinden, welche Facetten dieses Verhalten birgt und wo die persönlichen beruflichen Chancen liegen können.

Verborgene Talente

Ich habe viele Kinder und Jugendliche beobachtet und festgestellt, dass manche Begabungen und Talente sich erst sehr spät offenbaren. Hier sind vor allem wieder Eltern, Betreuer:innen im Kindergarten und Grundschullehrer:innen gefordert achtsam zu sein, wenn ein Kind z.B. partout nicht zeichnen kann oder will, schlecht schreibt oder mit Blick auf den sportlichen Bereich, nicht mit Rad fahren lernen will. Was sich später zur Passion oder zum Beruf auswachsen kann, kann sich in jungen Jahren, möglicherweise aufgrund noch nicht entwickelter motorischer Fähigkeiten, noch nicht zeigen. Wichtig ist, dem Kind diese Fähigkeiten nicht abzusprechen und die Entwicklung damit womöglich zu behindern, sondern einfach abzuwarten und sehen, was das Kind selbst entwickelt. Maria Montessori hat hier einen merkenswerten Satz geprägt: „Das Kind ist Baumeister seiner selbst!“

In diesem Zusammenhang möchte ich auch wieder auf das Buch von Heidemarie Brosche hinweisen „Mein Kind ist richtig wie es ist“ und die Aufzeichnung ihres Webinars „Zuordnungen – Reflektiere, was tatsächlich in Dir steckt!“ aus dem #JOE 2019, welche wir jetzt veröffentlichen durften. Sie dazu auch unseren früheren Blogbeitrag: https://jugend-online-event.de/wie-aus-meinen-schwaechen-staerken-werden/

Die ehemalige Hauptschullehrerin und Mutter von 3 Söhnen Heidemarie Brosche beschäftigt sich in diesem Buch und Webinar mit Zuordnungen bzw. Zuschreibungen. Zuschreibungen sind Eigenschaften, die uns als Kind von anderen wertend und oft negativ zugeschrieben werden und die dadurch unsere Meinung über uns selbst beeinflussen. Hinter negativen Zuschreibungen verbergen sich nicht selten große Talente. Ein gutes Beispiel ist eine junge, sehr charmante und kommunikationsstarke Frau, die ich bei ihrer Wahl der Ausbildungsstelle begleiten durfte. Alex (der Name ist geändert) hatte in den Zeugnisbewertungen immer stehen, dass sie sich zu viel mit ihren Mitschülerinnen unterhält und im Unterricht nicht aufmerksam ist. Solche Bemerkungen deuten auf besondere Eigenschaften hin – bei Alex auf ihre Zugewandtheit und Kommunikationsstärke -, die es gilt bei der Berufswahl zu betrachten – oft mit umgekehrten Vorzeichen.

Augen auf bei der Berufswahl

Mir war wichtig in diesem kurzen Artikel zu zeigen, dass Berufswahl kein einfaches Unterfangen ist und, dass man sehr genau hinschauen muss, wo im Einzelfall Begabungen und Besonderheiten, die eigenen Ecken und Kanten, liegen, auf die man auch achten sollte. Manche Dinge kann man nicht und muss sie auch nicht können!

Heute geht man davon aus, dass Berufserfolg und damit Zufriedenheit im Leben, sich auf der Basis von persönlichen Fähigkeiten und Talenten einstellt, die es gilt, weiterzuentwickeln und auszubauen. Das Augenmerk liegt damit auf der Entdeckung der Begabungen und nicht auf dem Ausmerzen von Defiziten.

Nur einige wenige Kinder und Jugendliche sind einseitig begabt oder wissen bereits sehr früh, was sie später einmal werden wollen. Für die meisten ist Berufsorientierung ein längerer Prozess, der auf einem sich Ausprobieren in vielfältigen Zusammenhängen beruht und reflektierend begleitet werden sollte. Vor allem die eigene Person und Persönlichkeit muss zunächst wertschätzend in den Mittelpunkt gestellt werden mit allen Ecken und Kanten, mit ihren Wertvorstellungen und Überzeugungen. Es ist die Suche nach dem eigenen Biotop oder Element wie es Ken Robinson in seinem lesenswerten Buch „In meinem Element“ beschrieben hat.