Zusammenfassung des 2. Panels des #JOE Zukunftskongress am 26. März 2022

An der Diskussion wirkten mit:
Paavo Czwikla, FDP
Fabian Gramling, CDU
Stefan Julinek, BDS (Bund der Selbstständigen)
Susanna Klein, Lehrerin Mittelschule Kolbermoor
Elisabeth Schilli, Schülervertreterin des Landes Baden-Württemberg
Charlotte Schmiedel, Landesvorsitzende der Schüler:innenkammer Hamburg
Anja C. Wagner, Bildungsexpertin von FROLLEINFLOW

Moderation: Caro Matzko

Die Zukunft lastet auf der jungen Generation

Die junge Generation sieht sich einem schier erdrückenden Berg von Aufgaben und Problemen gegenüber, die sie lösen muss und für deren Bewältigung sie von der Schule in keiner Weise vorbereitet wird. Gesellschaft und Wirtschaft entwickeln sich rasant weiter und die Schule hält mit dem schnellen Tempo der Entwicklung nicht mit. Digitalisierung ist da nur ein Beispiel. Die jungen Leute fürchten, dass ihnen die mangelnde Schulbildung im späteren Leben auf die Füße fallen wird.

Sehr viele Probleme sind seit Jahrzehnten bekannt, Krisen wie die Hochwasserkatastrophe im Ahrntal und die Corona-Pandemie machen auf die Dringlichkeit aufmerksam und dennoch passiert nichts oder viel zu wenig. Beispielsweise sind Kinder aus den sogenannten bildungsnahen Familien relativ gut durch die Corona-Krise gekommen, da sie technische Geräte und Unterstützung von zuhause hatten. Kinder aus ärmeren Familien wurden einfach abgehängt. Diese Kinder hatten und haben keine Chance in der Schule erfolgreich zu sein.

 

Chancenungleichheit und Scheitern an der Bürokratie

Als Schülersprecherinnen erleben sie heute, wie die Preise für das Schulessen angehoben werden, sich dadurch viele Schüler:innen das Mittagessen nicht mehr leisten können, abseits sitzen müssen und de facto ausgeschlossen werden. Antragstellungen hier Abhilfe zu schaffen und die zusätzlichen Kosten für die sozial schwächeren Kinder zu übernehmen, werden von den Behörden abgelehnt. Es entsteht der Eindruck, dass es keinen politischen Willen gibt, daran etwas zu verändern. Die junge Generation hat das Gefühl für ihre Demonstrationen belächelt, in ihren Forderungen nicht gehört und nicht ernst genommen zu werden. Sie hat das Gefühl bereits mit kleinsten Dingen am System zu scheitern. Sie erleben gerade, dass Kinder, die mit ihren Müttern aus der Ukraine geflüchtet sind, hier ihren digitalen Unterricht bekommen und fragen sich, wie weit das deutsche Schulsystem und Deutschland insgesamt hinter der globalen Entwicklung hinterherhinken, und warum nicht endlich mehr in Bildung und in die junge Generation investiert wird. Ihr Gefühl ist, dass „der aktuelle Profit wichtiger ist wie die Menschen“ und niemand Verantwortung für eine andere Entscheidung übernehmen wil

Die beiden (ebenfalls jungen) Politiker bestätigen, dass es immer schon Geduld und Ausdauer brauchte, um eine Sache bei Behörden durchzusetzen und dass es wichtig sei, Anschluss im politischen System zu finden, wenn man etwas erreichen wolle. Sehr wichtig sei die gegebene Durchlässigkeit im Bildungssystem, jedoch müsse in Zukunft viel stärker darauf geachtet werden, das einzelne Kind individuell zu fördern. Es kann nicht angehen, dass die Hauptschule als die Schule für die „Looser“ gilt, „die eh keiner will“. Auf die Hauptschule zu gehen, kommt einem Stigma gleich. Davon müssen wir weg. Generell ist es heute in allen Bundesländern so, dass das Gymnasium auf ein Studium vorbereitet. Auch das müsse man neu denken. Heute müssen alle jungen Menschen auf ein lebenslanges Lernen vorbereitet werden – und das gilt für alle Berufsbereiche. Hier müssen dringend Wege im Bildungsföderalismus gefunden werden. Ein positives Beispiel berichtet Frau Klein, die es geschafft hat eine länderübergreifende Ringvorlesung zu Social Entrepreneurship Education für Lehramtsstudierenden mitzuorganisieren, die im WS 202172022 erfolgreich stattgefunden hat.

 

Arbeitsmarkt: Fehlentwicklung und mangelnde Information

Was die deutsche Wirtschaft und v.a. den Mittelstand anbelangt, so fehlen in absehbarer Zeit nicht die Akademiker:innen (mit wenigen Ausnahmen, wie z.B. Lehrer:innen), sondern vor allem die Facharbeiter:innen. Diese Tatsache wird nicht kommuniziert, sondern die Entwicklungen der Vergangenheit werden ohne Nachdenken in die Zukunft prognostiziert und das Handeln danach ausgerichtet. Es wird in vergangenen Quantitäten gedacht und gehandelt und nicht in aktuellen und zukünftigen Qualitäten. Was die jungen Leute spüren ist heute in der Wirtschaft bereits eine Tatsache: Schulbildung mit der frühen Festlegung auf die Schulform Gymnasium und damit in der Konsequenz auf (irgend-)ein Studium läuft an der Realität auf dem Arbeitsmarkt vorbei. Auch hier das Plädoyer für ein Umdenken und viel mehr Wertschätzung nicht-akademischen Berufen gegenüber. Eine Handwerksmeister:in ist meist gut durch die Pandemie gekommen und steht heute oft finanziell besser da wie eine Akademiker:in. Für die bauliche Umsetzung der Maßnahmen für den Klimaschutz und damit auch die Chance auf Umsatz und Gewinn, was nicht gleichbedeutend mit Ausbeutung von Arbeitskräften ist, sondern Fortbestand für ein mittelständisches Unternehmen bedeutet, fehlt es überall an den Fachkräften (Beispiel Photovoltaik). Unternehmen wünschen sich hier mehr Verständnis und eine partnerschaftliche Haltung von Seiten der Schulen. Hier müssen zwei sehr verschiedene soziale Gruppen mehr Verständnis füreinander entwickeln und ins Gespräch kommen.

Schwer tut sich der Mittelstand ebenfalls mit der Bürokratie, einem System, das „zu behäbig ist“ und mit erheblichen Zielkonflikten. Die Komplexität der Situation wird nicht gesehen und kann nicht vermittelt werden. Energie war bereits vor dem Krieg in der Ukraine ein Problem.

 

Bildung neu denken und neu organisieren

Unternehmen werden Ausbildung neu denken müssen und Ausbildungsgänge neu anbieten, die es sonst nirgendwo gibt. Großen Konzernen fällt es leicht, Ausbildungen für neue Berufsmöglichkeiten zu etablieren. Der Mittelstand tut sich hier schwerer. Hier braucht es dringend Lösungen und Unterstützung. Beispiele, die genannt werden, sind vor allem die Ausbildungen in digitalen Berufsfeldern. Hier werden derzeit dringend Leute gebraucht, doch im etablierten Bildungssystem werden die Inhalte nicht angeboten. Zugänge müssen anders geregelt und an Lehrkräfte, Eltern und Schüler:innen kommuniziert werden.

Ein wichtiger Punkt in der Diskussion war, wie man es schaffen kann dieser abwartenden und absichernden Haltung ins Handeln zu kommen. Es geht um Verhaltensänderung, die bereits in Kinder und Jugendjahren praktiziert werden muss. Eine Möglichkeit schildert Susanna Klein, Lehrerin an der Pauline-Thoma-Mittelschule in Kolbermoor. Mit den Curricula zu Entrepreneurship Education hat sie in den letzten 10 Jahren sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Pauline-Thoma-Mittelschule ist eine sogenannte Brennpunktschule mit einem hohen Anteil von Kindern und Jugendlichen mit internationalem Hintergrund. Auch Frau Klein schildert, wie unrecht man den jungen Menschen tut, wenn man sie abqualifiziert und die Hauptschule als „Restschule“ diffamiert und den Kindern und Jugendlichen damit das Gefühl gibt „uns will eh keiner“. Mit Lernprogrammen, die Selbstwirksamkeitserfahrungen machen lassen, in denen Stärken sichtbar werden und Erfolgserlebnisse gesammelt werden, können die jungen Menschen zeigen, was tatsächlich in ihnen steckt. Derartige Curricula fordern eine andere Haltung der Lehrenden. Frau Klein ist seit vielen Jahren dabei, ihre positiven Erfahrungen zu kommunizieren und in kleinschrittiger Projektarbeit die Curricula zu Social Entrepreneurship Education im Bildungssystem zu implementieren. Auch sie macht die Erfahrung, wie mühsam es ist und wie viel an persönlicher Energie es bedarf, in winzig kleinen Schritten voranzukommen.

 

Mutige Visionen entwickeln und Systeme neu aufsetzen

Diese vielen kleinen Schritte von engagierten Menschen reichen jedoch nicht mehr aus, um zu der notwendig schnellen Veränderung des Systems und rasch zu den drängenden Lösungen zu kommen. Wir müssen Visionen entwickeln, wo wir hinwollen und unsere Systeme grundsätzlich umbauen. So wie das jetzt alles ist (Beispiel Renten- und Steuersystem) werden wir es nicht schaffen. Wir müssen vor allem das Lernen von Grund auf neu denken. Das ist sind Befürchtungen und Forderungen der jungen Generation. In diese Überlegungen und Umgestaltungsaufgaben muss die junge Generation auch aktiv einbezogen werden.

Notwendige Veränderungen betreffen jedoch nicht nur die Bildung der jungen Menschen, sondern vor allem die Generation, die heute an den Machtpositionen sitzt. Deutschland ist als Industrienation erfolgreich geworden und hat ein mächtiges Aufstiegssystem implementiert, das mit „Hauen und Klauen“ (O-Ton) verteidigt wird. In verschiedenen Bereichen müssen etablierte Systeme gekippt werden, sonst kommt es nicht zu den dringend notwendigen Veränderungen. Es ist die Generation der heute aktiv Tätigen, die sich und die Strukturen verändern muss und das grundlegend. Es ist die erste Generation, die gezwungen ist, sich beruflich komplett zu verändern und umzudenken. Auch diese Generation ist nicht auf den Wandel vorbereitet und hat keine Anlaufstellen, an die sie sich hierbei um Unterstützung bei Veränderungsbemühungen wenden soll.
Was fehlt sind Mut zur Zukunftsplanung und die Priorisierung der Veränderung. Die junge Generation erlebt, dass erst gehandelt wird, wenn die Krise da ist und dann auch nur schleppend. Es herrscht eine große Skepsis, wie die jungen Leute hier eine generelle Veränderung bewerkstelligen können. Nicht erkannt zu werden scheint, welch hohe Priorität Bildung haben müsste. Der Lehrermangel ist gravierend. „NATÜRLICH MACHT NIEMAND SCHULENTWICKLUNG, weil man gar nicht hinterherkommt das System am Laufen zu halten.“

Eine Systemveränderung wird man vermutlich nur durch „hacken“ (engl.) (kreative Haltung und Herangehensweise) und der Entwicklung attraktiver Gegenmodelle (Beispiel Salesforce in den USA) herbeiführen können. Durch das etablierte System schaffen wir es nicht, z.B. die digital gebildeten Menschen zu bekommen, die wir brauchen.

Es braucht eine neue Priorisierung und den Mut Visionen und Utopien zu entwickeln und eine Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen. In diesem Zusammenhang hat Frau Wagner auf das Buch von Mariana Mazzucato „Mission Economy“ verwiesen, in dem sie beschreibt, wie es Amerika gelungen ist als erste Nation den Mond zu betreten.

Utopien müssen jedoch politisch vernetzt werden, d.h. die Schnittstellen zum politischen Handeln müssen gefunden werden. Sonst hat man kein politisches Handlungspotential.

 

Zukunftskills: Empathie und die Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen …

Es geht aber auch um die gegenseitige Verantwortungsübernahme. Es gibt Menschen in der Gesellschaft, die wir schützen müssen. Performanz ist nicht alles. Die Pandemie hat Spuren in der Gesellschaft, vor allem auch bei den jungen Menschen hinterlassen. Es sind Defizite entstanden, die das soziale Miteinander schwieriger machen. Jetzt sind Curricula dringend notwendig, die Kommunikation und Kollaboration fördern. „Die Schüler:innen wachsen am miteinander Tun und Lernen. Differenzierung und Individualisierung passieren in der Gemeinschaft.“

Das sind Skills, die die jungen Leute für die Zukunft brauchen. Einander zuhören können, aufeinander Rücksicht nehmen, miteinander lernen und miteinander Ziele erreichen. Bereitschaft Verantwortung für sich und andere und neue Ziele übernehmen. Frau Wagner führt an, dass es in Dänemark ein Schulfach „Empathie“ gibt. Schon sehr junge Kinder lernen, auf andere zu achten, sich der Probleme anderer anzunehmen. Gleichzeitig schule das auch die Problemlösekompetenz. Wichtig sei, das ganze System empathischer und transparenter zu gestalten.

 

… und die Fähigkeit konstruktiv miteinander zu streiten

Sehr wichtig sei es auch das konstruktive Streiten zu lernen. Je diverser die Gesellschaft wird, desto mehr Konflikte treten auf. „Wir müssen vernünftig streiten lernen.“ Herr Czwikla verweist in diesem Zusammenhang auf das Buch „Das Integrationsparadox“ von Aladin El- Maafalani und das Bild vom Tisch, an dem heute mehr und diverse Menschen sitzen.

Viele der hier diskutierten Problemstellungen sind in der Gesellschaft angekommen. Jetzt ist es wichtig ins Machen zu kommen und die Veränderungen sehr aktiv und tatkräftig herbeizuführen. Die Politik muss ambitionierte Ziele setzen und die Weichen stellen und Bürger und Unternehmen zur Mitarbeit einladen. Es ist klar, dass wir uns nicht mehr zurücklehnen dürfen, es ist kein Erkenntnisproblem mehr, sondern wir müssen auf das Ziel ausgerichtet alle an einem Strang ziehen.

Autorin: Gabriela Westebbe